Ermittlungsmethoden psychischer Belastungen im Betrieb

Ehe man Maßnahmen gegen psychische Gefährdungen im eigenen Betrieb ergreifen kann, müssen diese zunächst ermittelt werden: Hier kommen verschiedene Möglichkeiten infrage, die sich je nach den vorliegenden Bedingungen in einem Betrieb mehr oder weniger eignen. Wo liegen die Vor- und Nachteile der Methoden?

AdobeStock/Kaspars Grinvalds

Seit 2013 ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (kurz: PsychGBU) für jede Arbeitgeberin und jeden Arbeitgeber verpflichtender Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsschutzes (vgl. ArbSchG §4, Abs. 1 und §5, Abs. 3, Nr. 6). Und die Förderung psychischer Gesundheit lohnt auch betriebswirtschaftlich, weil sich laut DAK-Psychreport 2022 der Anteil der Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen bezogen auf die Gesamtzahl der Fehlzeiten von 2011 bis 2021 um 41 Prozent erhöht hat. Neben der Erfüllung der Gesetzespflicht bietet die PsychGBU auch mindestens drei weitere Vorteile:
  1. Sie deckt Ressourcen auf, betriebliche Bedingungen also, die schon heute zum Erhalt der psychischen Gesundheit beitragen
  2. sie stärkt die Arbeitgeberattraktivität im Wettbewerb um junge Fachkräfte, die zunehmend Wert legen auf Unternehmen, die Gesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten priorisieren (Stichwort: Work-Life-Balance)
  3. sie sensibilisiert für gesundheitsförderliche Verhaltensweisen (Stichwort: Selbstfürsorge), was im Kontext eines gelebten Gesundheitsmanagements auf längere Sicht krankheitsbedingte Fehlzeiten reduzieren kann
Für die gesetzeskonforme Umsetzung der PsychGBU stellen zahlreiche Initiativen, die in einem engeren oder weiteren Zusammenhang mit dem BMAS stehen, im Internet Handlungsanleitungen bereit. Da das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) zwar vorgibt, dass die PsychGBU von jedem Arbeitgeber und jeder Arbeitgeberin qualitätsgesichert umzusetzen ist, gleichzeitig aber offen lässt, wie genau diese Umsetzung praktisch funktioniert, sind die im Internet veröffentlichten Handlungsanleitungen unverzichtbar (vgl. Übersicht der Internetquellen am Artikelende).
Der Prozess der Gefährdungsbeurteilung Psychischer Belastung gliedert sich in sieben aufeinanderfolgende Prozess-Schritte:
1.      Festlegen der Analysebereiche
2.      Ermittlung der Gefährdungen
3.      Beurteilung der Gefährdungen
4.      Festlegen entlastender Maßnahmen
5.      Umsetzen der Maßnahmen
6.      Überprüfung der Wirksamkeit
7.      Fortschreiben der PsychGBU
Für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber besonders herausfordernd ist der zweite Prozessschritt, die sogenannte Gefährdungsermittlung. Hier stellen sich viele Fragen:

„Welche Ermittlungsmethode sollte ich in meinem Unternehmen einsetzen?“

Die Antwort auf diese Frage kann nicht pauschal gegeben werden. Es gibt keine Ermittlungsmethode, die auf jedes Unternehmen gleich gut passt. Die Auswahl richtet sich u. a. nach Größe, Branche und Organisationsstruktur des Unternehmens. Gehen wir vor der Darstellung der Ermittlungsmethoden daher einen Schritt zurück und fragen:

„Was muss ich als Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin messen, um meiner gesetzlichen Pflicht zur Umsetzung der PsychGBU gerecht zu werden?“

Gesetzlich verpflichtend ist lt. ArbSchG (§§ 4,5) die Erhebung psychischer Belastung, diese umfasst nach DIN EN ISO 10075-1 „… die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf die Menschen zukommen und psychisch auf sie einwirken.“ Das können häufige Arbeitsunterbrechungen ebenso sein wie ein ergonomisch nicht optimal gestalteter Arbeitsplatz. Aus der Ermittlung heraus fallen alle subjektiv empfundenen Beanspruchungen und Krankheiten. Sie stehen als unmittelbare bzw. langfristige Belastungsfolgen in einer Abhängigkeit zu den individuellen Ressourcen der Mitarbeitenden (Konstitution und Bewältigungsstrategien). Der Blick auf Beanspruchungen und Krankheiten ist in der Fürsorgepflicht der Führungskräfte verankert. In der PsychGBU spielen ausschließlich potenzielle Gefährdungen der psychischen Gesundheit eine Rolle. Einen guten Überblick über Belastung, die eine solche Gesundheitsgefahr darstellen und lt. Gesetz in der PsychGBU zu messen sind, gibt die Handreichung der GDA „Empfehlungen zur Umsetzung“ in Anlage 1 „Psychische Belastungsfaktoren bei der Arbeit“.

„Wie unterscheiden sich die Ermittlungsmethoden voneinander?“

Ganz grob lassen sich Analyseworkshops, Beobachtungsinterviews und Mitarbeiterbefragungen als Methoden voneinander unterscheiden. Diese unterteilen sich in qualitative Verfahren (zeigen Ursachen und Hintergründe der Belastung auf) und quantitative Verfahren (zeigen statistische Häufigkeiten auf) und sie unterteilen sich – mit Blick auf die Erhebungsform – in subjektive Verfahren (Selbstauskunft) und objektive Verfahren (Beobachtung). Außerdem spielt die Analysetiefe (von der Grob- zur Feinanalyse) für die Unterscheidung der Ermittlungsmethode eine Rolle.
Unterscheidung_Ermittlungsmethoden
Tabelle 1: Unterscheidung Ermittlungsmethoden

„Welche Ermittlungsmethode passt zu meinem Unternehmen?“

Für die Umsetzung der PsychGBU ist i. d. R. eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Verfahren das Mittel der Wahl. Im Vorfeld können(!) – soweit vorhanden – Gesundheitsberichte, Fehlzeiten, Unfallstatistiken, Anzahl von BEM-Verfahren und Rückmeldungen von Führungskräften als Datenbasis gesichtet werden. Auch Checklisten wie der inqa-Gesundheitscheck geben eine erste grobe Orientierung zum Gesundheitszustand des eigenen Unternehmens (Orientierende Verfahren). Im zweiten Schritt lohnt sich – ab einer Betriebsgröße von 30 Mitarbeitenden – eine Mitarbeiterbefragung (Screening-Verfahren). Hier können Belastungsschwerpunkte subjektiv erhoben und objektiv für die gebildeten Analysecluster statistisch ausgewertet werden. Auch ein Gruppenvergleich von Abteilungen, Standorten, Altersgruppen u. a. ist bei digital unterstützten Onlinebefragungen realisierbar und bringt bei der Auswertung einen Erkenntnisgewinn (vgl. zum Beispiel https://expe-konzept.de/).
Beispiel für Detailauswertung
Abbildung 1: Beispiel für Detailauswertung mit RED KOMM B2B (Expe Konzept GmbH)
Hilfreich für die gesetzeskonforme Umsetzung ist es, wenn sich der Fragenpool eng an den GDA-Richtlinien (https://www.gda-psyche.de) orientiert und nicht zu viele weitere Skalen zur Arbeitsfähigkeit oder zum Gesundheitszustand der Mitarbeitenden umfasst. Letzteres ist erstens nicht gefordert, zweitens aus datenschutzrechtlichen Gründen schwierig und drittens kann ein zu großer Fragenpool (> 30 Fragen) auch zu einer zeitlichen Überforderung der Mitarbeitenden und damit zu einer reduzierten Rücklaufquote führen. Deshalb gilt es beim Einsatz von Mitarbeiterbefragungen Augenmaß zu halten.
GDA-Konforme Befragungen sind als Screening-Verfahren nützlich, weil sie zur Grobanalyse von Belastungsschwerpunkten beitragen und damit zeitintensive qualitative Verfahren (wie Workshops, teilnehmende Beobachtung, Interviews) auf ein notwendiges Minimum reduzieren. Qualitative Verfahren (Experten-Verfahren) sollten immer dann zum Einsatz kommen, wenn es darum geht, Ursachen und Hintergründe der im Screening gemessenen Belastung auszumachen. Die Sonderform ASITA- oder Ideen-Workshop“ bietet darüber hinaus die Chance, Mitarbeitende bei der Erarbeitung von Entlastungsstrategien aktiv einzubinden. Die so erarbeiteten Ideen erfreuen sich einer größeren Akzeptanz, was sich in der späteren Maßnahmenumsetzung positiv auswirken wird.
Die Vor- und Nachteile ausgewählter Ermittlungsmethoden sind in Tabelle 2 zusammengefasst:
Vor- und Nachteile ausgewählter Ermittlungsmethoden
Tabelle 2: Vor- und Nachteile ausgewählter Ermittlungsmethoden
Hilfestellung gemeinnütziger Initiativen und Organisationen:
  • GDA (Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie) ist ein Verbund von Ländern und Unfallversicherungsträgern. Sie erarbeiten – in enger Anlehnung an das ArbSchG. – gemeinsame Arbeitsschutzziele, sorgen für deren Umsetzung und organisieren die behördliche Überwachung der Vorschriften.)
  • BauA (Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin forscht im Auftrag des BMAS für eine sichere, gesunde und menschengerechte Arbeitswelt. – Sie bietet regelmäßig interessante Broschüren zu aktuellen Forschungsergebnissen)
  • inqa (Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) bietet Hilfestellung und Unterstützungsmöglichkeiten, um Arbeit für Unternehmen rentabel und für Beschäftigte gesund, motivierend und attraktiv zu gestalten.)
  • Psyga („Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“ ist ein Projekt der inqa, das Seminarkonzepte, Arbeitshilfen, Leitlinien zum Abbau psych. Belastung am Arbeitsplatz erstellt.)
Wolfram Krug, 20.04.2022
Über den Autor:
Dipl. Pädagoge: Wolfram Krug, TÜV geprüfter Präventions- und Gesundheitsmanager
E-Mail: info@beratungspraxis-krug.de
www.beratungspraxis-krug.de
www.wiesbaden.gbu-psychische-belastung.de/

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